hausbesuch

Friederike Ulrich
Hamburger Abendblatt, 2021

Die Künstlerin Annette Meincke-Nagy wohnt in einem der schönsten Mehrfamilienhäuser Winterhudes. Außen besticht der Weiß gestrichene Altbau mit Stuck und Sprossenfenstern, innen mit einem Treppenhaus, das mit hellgrauem Marmor ausgekleidet ist, und Wohnungstüren mit Buntglasfenstern. Ihre Wohnung entspricht einem typischen „Hamburger Knochen“: von einer Diele gehen nach vorne drei repräsentative Zimmer ab, in denen wir uns gleich näher umsehen werden. Geradeaus fällt der Blick in das ganz in Weiß gehaltene (ehemalige) Schlafzimmer ihrer Tochter. Links führt ein langer Flur nach hinten zu der gemütlichen Küche, von deren Balkon man in den Innenhof eines großen Wohnblocks blickt. Auf dem Weg nach hinten gehen die Türen zu den beiden Badezimmern ab, die Annette Meincke-Nagy sehr geschmackvoll mit braun-grauem Marmor und Messingarmaturen ausgestattet hat, sowie zu ihrem schlicht gehaltenen Schlafzimmer.

Hier ist überall viel zu entdecken. In den drei vorderen Zimmern und auch im Flur wimmelt es von Menschen. Manche blicken einen von Gemälden heraus an – andere, die Skulpturen der Künstlerin, stehen und sitzen auf weißen Sockeln unterschiedlicher Größe und Höhe: als ganze Figur, als Büste oder nur als Kopf. Allen gemeinsam ist die unglaubliche Ruhe, die von ihren Gesichtern ausgeht – was, wie Annette Meincke-Nagy später erzählen wird, von ihrem Konzept, unter einem Dach zu wohnen und zu arbeiten, durchaus beeinflußt wird. In ihrem Atelier, dem linken der drei miteinander durch Schiebetüren verbundenen großen Räume, sieht man, wie ihre Figuren entstehen: Auf ein grobes Gerüst aus Draht trägt sie viele Schichten Papier mit Leim auf und verfeinert die Formen mit einer grauen Masse aus gekochtem Papier und Quarzsand. Für die Bemalung anschließend wählt sie überwiegend zurückhaltende Farben aus feinen Pigmenten.. Kann sie so jemals Feierabend machen?

Für unser Gespräch haben wir am Esstisch Platz genommen. Durch den roten Vorhang, der nur halb zugezogen ist, fällt Sonnenlicht durch die Fenster, über uns hängt ein Kronleuchter mit kleinen Lampenschirmchen. Ins Auge fallen die vielen Figuren, Vasen und Behältnisse, die mit den Bildern und Skulpturen ein buntes Sammelsurium bilden – „Mitbringsel von Freunden, Erbstücke oder Flohmarkt-Funde, mit denen ich versuche, überall kleine Stillleben aufzubauen“, sagt die 55-jährige Künstlerin. Mittlerweile halte sie sich mit dem Sammeln von schönen Dingen jedoch zurück. „Die Wohnung ist zwar groß, aber ein paar Flächen müssen leer bleiben – sonst wirkt sie überfrachtet.“ Sie weist auf die Wand hinter dem Sofa im rechts liegenden Wohnzimmer. „Die habe ich bewusst frei gelassen, damit der Blick auch mal zur Ruhe kommt.“ Leben und Arbeiten unter einem Dach – wie lange macht sie das schon? „Das Konzept habe ich schon, seit wir hier vor ungefähr 23 Jahren eingezogen sind. Fünfeinhalb Zimmer sind für Berufsanfänger ja ziemlich groß und ein Atelier zusätzlich zu mieten, wäre mir damals zu teuer gewesen.“ Auch ihr damaliger Mann, ein erfolgreicher Fotograf, arbeitete zu der Zeit Hause: er richtete sich sein Büro im heutigen Wohnzimmer ein. Wer heute dort auf dem Sofa sitzt, blickt über den Couchtisch – einen quaderartigen Sockel mit einer sitzenden, männlichen Figur – durch das Esszimmer – in dem ebenfalls viele Skulpturen der Hausherrin stehen und sitzen – in das Atelier. Dort, auf dem Arbeitstisch, warten mehrere unfertige Exemplare auf ihre Vollendung. Ist das nicht eine ständige Aufforderung, weiterzuarbeiten? Kann man so jemals Feierabend machen? „Den brauche ich nicht“, sagt Annette Meincke-Nagy und lächelt. „Mein Leben und mein Arbeiten fließen ineinander – und genauso liebe ich es.“

„Dinge haben Kraft und Energie“

Dass sie in ihrer Wohnung arbeitet, habe Einfluss auf ihre Kunst – davon ist die Künstlerin überzeugt. So könne sie sich durch ein „Herumschleichen“ durch ihr Atelier in einen ruhigen Zustand und damit in die Atmosphäre, die sie zum Arbeiten brauche, versetzen. Umgekehrt strahlten ihre Figuren diese Ruhe, diese meditative Stille, auch wieder aus. Auch sie selber werde durch ihre Wohnung beeinflusst, findet sie. „Was man gestaltet, wirkt auf einen zurück. Dinge haben Kraft und Energie. Nicht umsonst gibt es uralte Lehren wie Feng Shui, ein jahrhundertealtes chinesisches Wissen.“

Besonders angenehm sei die Verbindung von Arbeiten und Wohnen gewesen, als ihre Tochter auf die Welt kam. „Sobald sie ihr Mittagsschläfchen gemacht hat, konnte ich arbeiten.“ Als ihre Tochter im Teenageralter war – sie und ihr Mann hatten sich mittlerweile getrennt – habe sie dann aber doch den Wunsch verspürt, außer Haus zu arbeiten. „Ich zog in einen freien Atelierbereich zu einer befreundeten Künstlerin in die Gertigstraße. Dort war es wunderschön – aber ich habe gemerkt, dass ich durch die offene Atelierfläche nicht die Ruhe für meine Arbeit finden konnte.“ . Und wenn sie abends später mit der Arbeit beginnen wollte, sei sie eben nicht mehr ins Atelier gegangen. „Hier kann ich einfach ins Nebenzimmer gehen und zu jeder Tages und Nachtzeit loslegen.“

Vor zwei Jahren ist ihre Tochter ausgezogen – was Annette Meincke-Nagy die Möglichkeit gibt, ihren Arbeitsbereich zu vergrößern. „Mein Atelier grenzt an ihr ehemaliges Zimmer und ich spiele mit dem Gedanken, einen Durchbruch zu machen. Da ist Sonne und dann hätte ich mehr Platz.“ Auch, wenn sie manchmal von einem zweiten Atelier im Grünen oder am Stadtrand träumt – aufgeben würde sie ihre Wohnung in dem quirligen Stadtviertel nie. Dort ist fast alles noch so wie vor 23 Jahren. Die Eckkneipe, den Eisladen und ihre Lieblings-Bioladen gibt es sehr lange ungefähr so lange, wie sie hier wohnt. Verändert hat sich das Angebot an Gastronomie, und dass bei gutem Wetter viele Menschen auf der Straße sitzen. „Dann ist es hier genauso wie in Italien“, sagt die Künstlerin. Noch ein Grund, zu bleiben.

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